Andrea Mörike berät Sozialunternehmer:Innen und hat sich u.a. auf die Themen Ethischer Sales und ethische Akquise spezialisiert. Was dahinter steckt und was im Vertrieb wichtig ist, erzählte sie uns in einem Interview.
Liebe Andrea, du setzt dich viel mit dem Thema wertebasierter und ethischer Sales auseinander. Was genau versteht man darunter und warum setzt du dich damit auseinander?
Sales ist bei viele Gründern oft unbeliebt. Nachvollziehbar, denn leider dreht sich im herrschenden Sales Paradigma alles um den maximalen Profit, da wird penetriert, genervt, getrickst und manipuliert, Hauptsache der Kunde kauft und dafür geht man auch schon mal über Leichen. Wusstest Du, dass ein weit verbreitetes Sales-Motto „AUA“ heißt, was für „Anhauen, Umhauen, Abhauen“ steht? Das sagt doch schon alles, oder? Klar, dass niemand, der für ein besseres Miteinander arbeitet, Lust auf Vertrieb hat!
Wir müssen dieses Sales Paradigma aus mindestens zwei Gründen dringend verändern: Erstens führen die Manipulationstricks dazu, dass Menschen zum Kauf von etwas überredet werden, was sie nicht wirklich brauchen. Egal? Hauptsache, der Rubel rollt? Nein, nicht egal! Denn wenn etwas keinen echten Nutzen bringt, dann sind schon wieder kostbare Ressourcen unseres Planeten verschwendet worden.
Zweitens verdirbt es den Social Startups die Freude am Vertrieb, was sich negativ auf deren Erfolg auswirkt. Doch unsere Welt braucht dringend erfolgreiche Sozialunternehmen. Nur wenn Social Startups eine kritische Masse in der Wirtschaft und Gesellschaft erreicht haben, werden sie von der Politik, Partnern aus der For-Profit-Wirtschaft und von Investoren ernst genommen. Nur so haben Unternehmen mit gesellschaftlichem Mehrwert die Chance, eines Tages das neue Normal zu sein. Deshalb ist die erfolgreiche Akquise von Geschäftskunden, Geschäftspartnern oder Impact Investoren so wichtig für Sozialunternehmen und deshalb lautet mein Motto: Good Sales = Good Impact!
Deshalb müssen wir das uns dominierende Sales Paradigma erkennen, entlarven und entkräften, in dem wir Sales neu denken und gemeinsam, geduldig und stetig an einem neuen, einem wertebasierten Salesparadigma arbeiten. Aber was ist denn nun wertebasierter Sales? Wertebasierter Sales besteht für mich darin, einer potenziellen Kunden-, Investor- oder Partnerorganisation zu helfen, die für sich beste Entscheidung zu treffen, dabei einen echten Wert zu schaffen und so zu einer nachhaltigeren, enkeltauglichen Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen.
Der erste Schritt dazu ist die Veränderung unserer eigenen Haltung und unseres Selbstverständnisses. Wir dürfen uns nicht länger als Verkäufer sehen, sondern wir müssen dringend anfangen, uns als echte Helfer zu verstehen und auch so zu verhalten. Als jemand, der potentielle Kund:innen ehrlich und nach bestem Wissen und Gewissen bei deren Entscheidungsfindung unterstützt. Wenn wir weniger reden und mehr zuhören, klug Fragen stellen, besser verstehen und so in der Lage sind, verschiedene Möglichkeiten gemeinsam mit den Kund:innen nach bestem Wissen und Gewissen abzuwägen, werden wir auch schon bald anders wahrgenommen.
Wenn wir die richtige innere Haltung haben, kommt dann das ethische Verhalten im Verkaufsprozess von ganz allein: ehrlich und integer, Transparenz schaffend, frei von Manipulationen: Mehr Details dazu in meinem Blogbeitrag zu den 7 Leitlinien des ethischen Sales. Wenn wir ethisch agieren und nicht den Verkaufsabschluss, sondern den Menschen uns seinen Bedürfnissen wieder in den Mittepunkt rücken, werden wir uns auch wieder wohler fühlen, mehr Spaß bei der Akquise haben und erfolgreicher sein!
„Anhauen, umhauen, abhauen“ ist natürlich schon ein extremes Sales-Motto, welches zum Glück nicht auf alle Vertriebler und Vertriebsstrukturen zutrifft. Aber dennoch: Natürlich gibt es die klassischen, und nicht immer fairen, Sales-Taktiken wie künstliche Verknappung oder Weitere. Was sind denn im ethischen Sales typische Strategien?
Ein grundlegender Unterschied zeigt sich zum Beispiel beim ersten Termin. Das traditionelle Sales Paradigma stellt hier ganz klar den „Sales Pitch“ in den Mittelpunkt. Vertriebler:innen bereiten sich darauf vor, die bestmögliche Präsentation der eigenen Produkte oder Dienstleistungen vorzubereiten, um potenziellen Kund:innen zu beeindrucken und zu begeistern. Der Kunde oder die Kundin wiederum hat die implizite Erwartungshaltung: zeig mir, was Du kannst, aber vergiss nie: mir ist klar, Du willst mir je nur etwas verkaufen. Unbewusst dreht sich also alles um die Kernfrage: Welche Leistung wird zu welchem Preis angeboten?
Beim wertebasierten Sales verläuft bereits die Vorbereitung auf einen Termin anders: Du bereitest keine Präsentation vor, sondern recherchierst zum Unternehmen, zu dessen Markt und zu Deinen Ansprechpartner:innen. Du stellst Dich also schon im Vorfeld auf die aktuelle Situation der Organisation ein. Und dann gehst Du in das Gespräch mit der Haltung: lass mich verstehen, was ihr für Ziele und Interessen habt, was für Eure Organisation wichtig ist. Dann helfe ich Euch mit meiner Expertise vor allem durch Fragen, Optionen zu entwickeln und zu bewerten.
Das mag kurzfristig auch mal dazu führen, dass dieses Mal nichts verkaufen, weil unsere Lösung oder Idee einfach nicht am besten passt. Dann wertschätzend verabschieden und auf zur nächsten Gelegenheit! Es führt aber gleichzeitig dazu, dass mein Gegenüber mir ab jetzt vertraut, bei der nächsten Gelegenheit zu mir zurückkommt, mich weiterempfiehlt. Das steigert die positive Wahrnehmung im Markt steigert.
Sozialunternehmen legen den Fokus auf Impact, Gewinn steht nicht an erster Stelle. Wie findet man als Gründer*in den richtigen Preis?
Hierzu möchte ich differenzieren zwischen dem Erarbeiten einer generellen Preisliste und dem individuell zu verhandelndem Preis mit einem Kunden.
Schauen wir uns zuerst an, wie man zum richtigen Listenpreis kommt. Denn eine transparente Preisliste ist Teil des ethischen Salesprozesses. Es gibt verschiedene Arten, zum richtigen Listenpreis zu kommen, die ich in einem meiner für Sozialunternehmen kostenlosen Onlineworkshops auch alle erkläre. Hier nur kurz: Sollte ich mich für die „kostenbasierte Kalkulation“ entscheiden, dann muss bei dieser immer ein Gewinnaufschlag hinzugerechnet werden, um z.B. Rücklagen für die Organisation zu bilden. Sozialunternehmen unterscheiden sich hier von reinen Profit-Unternehmen dadurch, dass dieser Aufschlag meist niedriger kalkuliert wird, obwohl eine weitere Komponente der Preisfindung, der sogenannte „gefühlte Wert“ und oft auch der Markt hier noch Spielraum zulassen. Gerne ermutige ich deshalb Social Startups dabei, sich nicht unter Wert zu verkaufen. Das gibt ihnen die Freiheit für zum Beispiel Querfinanzierungen, wie beim Modell der „drei-Preise-für-drei-Zielgruppen“, in dem der niedrigste Preis für eine schwächere Zielgruppe durch den höchsten von der finanziell stärksten Zielgruppe querfinanziert wird.
Doch auch wenn Impact Unternehmen die beste, fairste und transparenteste Preisliste der Welt erarbeitet haben, geraten sie früher oder später in eine individuelle Preis-Verhandlung mit einem Kunden, der diese Preise so nicht akzeptieren will. Was tun? Wie komme ich nun hier zum richtigen Preis für diesen Kunden? Auch hier gibt es viele verschiedene kreative Ansätze, aber bevor ich der Kundin ein neues und gutes Angebot erstelle, muss ich unbedingt vorher verstehen, warum der Preis so nicht akzeptabel ist, also welche Motivation hinter der Frage nach Preisnachlass steckt. Auch hier hilft nur fragen, fragen, fragen. Sieht der Kunde den Wert nicht? Dann haben wir vorher unsere Hausaufgaben bei der Akquise in den Phasen Qualifizierung und Argumentation nicht richtig gemacht? Klar ist: Wenn der oder die potentielle Kund:in Euch wirklich braucht, dann findet sich gemeinsam auch einen Lösungsweg!
Generell gilt bei Preisverhandlungen: Einfach einen Nachlass geben ist in unserer Kultur unseriös. Denn dann stellt sich sofort die Frage, wie Euer Preis zustande gekommen ist? Deshalb ist es wichtig, immer eine Gegenleistung zu fordern. Konkrete Beispiele dafür findet Ihr in meinem Blogartikel „Geben und Nehmen“.
Woran merkt man als Gründer*in, dass man den Überblick im Vertrieb verliert?
Typische Merkmale sind: Aufträge verschieben sich immer wieder, Auftragsvolumen sind plötzlich kleiner als gedacht, ganz unerwartet kommen Absagen, trotz guter Termine bisher. Das wirkt sich auf die Ressourcen – und Finanzplanung, aber auch auf die Teammotivation aus. Oft geht dann eine hektische Suche nach anderen Einnahmenquellen los: Schnell noch einen Investor, eine Projektfinanzierungen finden. Tätigkeiten, die wiederum viel Zeit und Energie kosten, Zeit, die man für den Vertrieb bräuchte. Ein Teufelskreislauf. Keine gute Situation, weder für das einzelne Unternehmen noch für den Sektor.
Deshalb darf man Vertrieb nicht dem Zufall überlassen, sondern muss strukturiert vorgehen, Transparenz schaffen und dafür sorgen, dass für alle nachvollziehbar ist, wo man steht. Zum Beispiel in welcher Phase ihrer Entscheidung sich unsere Kontakte gerade befinden, was noch zur Unterschrift fehlt und wann man lieber loslässt, um unsere wertvolle Zeit bei vielversprechenderen Geschäftschancen einzusetzen. Ein strukturiertes Vorgehen hat noch einen Vorteil: es bringt Klarheit und Sicherheit, was der richtige nächste Schritt ist. Man behält den Überblick, gestaltet den Salesprozess effizient und steuerbar.
Vertrieb und Marketing – was ist wichtiger?
Ying oder Yang, was ist wichtiger? Man braucht beides, das eine funktioniert nicht ohne das andere. Marketing schafft es, dass potentielle Kund:innen, die noch nichts von uns gehört haben, auf uns aufmerksam werden. Aufmerksamkeit alleine reicht aber nicht, denn aus diesen ersten Kontakten müssen nun echte Beziehungen entstehen und wir müssen verstehen, was die andere Seite bewegt und sie bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Gerade Startups merken, nachdem die erste Aufmerksamkeitsflut wieder abgeebbt ist, dass es auf Dauer nicht genügt, einfach nur noch mehr neue Kontakte zu generieren und darauf zu warten, dass sich die Gute Sache von allein verkauft.
Aber warum verkauft sich auch die beste Idee nicht von allein? Weil auf der Kund:innenseite fast nie eine Person alleine entscheidet und weil es so viele tolle Ideen und Social Startups gibt! Da fällt die Entscheidung oft schwer und man braucht Hilfe, um besser zu verstehen, welchen Mehrwert die verschiedenen Anbieter:innen für die eigene Zielerreichung haben.
Wichtig ist sowohl im Marketing als auch im Vertrieb, ethisch zu agieren und nicht mit Manipulationen zu arbeiten. Manipulationsversuchen begegnen wir alle täglich, wir spüren den künstlichen Druck, der erzeugt wird, um uns zum Kaufabschluss zu bewegen. Zum Beispiel den Zeitdruck („Dieser Preis nur noch bis zum 31.3“.), den künstlichen Mangel („nur noch ganz wenige Plätze“ verfügbar) oder andere Arten von Druck wie zum Beispiel den persönlichen Hochdruck oder den der künstlich erzeugte Angst, Unsicherheit oder Zweifel. Schrecklich unethisch.
Du berätst ja so einige Gründer*innen. Hand aufs Herz: Was ist der größte Irrtum, den du am meisten aufklären musst?
Der größte Irrtum im Sales – nicht nur bei Gründer*innen – ist, dass man viel reden, erklären und ständig pitchen muss. Klar, ich muss in der Lage sein, kurz und präzise zu sagen, wem ich mit meiner Lösung wobei helfe. Aber mindestens genauso wichtig ist es, von Anfang an Fragen zu stellen und sehr gut zuzuhören, um zu verstehen, was für mein Gegenüber interessant und wichtig ist. Um mit einer Fußballmetapher zu sprechen: der eigene Ballbesitz sollte gerade in den ersten Gesprächen nur bei ca. 20 Prozent liegen – vor allem sollten wir uns bemühen, den potentiellen Kunden und seine Anforderungen sehr gut zu verstehen, um dann dabei helfen zu können, die für diese(n) beste Entscheidung zu treffen. Also Fragen, Fragen, Fragen und … offen, aufmerksam und aktiv zuhören!
Der größte Irrtum von Gründer*innen ist, die eigene Lösung oder Idee als einzigartig zur beurteilen und daraus abzuleiten, dass die Kunden aus schierer Alternativlosigkeit zu uns kommen müssen. Selbst wenn es so wäre, dass im einen oder anderen Bereich eine Einzigartigkeit besteht (in der Idee, einem Merkmal der Idee, in deren besseren Umsetzung, der Geografie o.ä.), so ist es doch für die interessierte Seite, also den Investor, Kunde oder Partner fast immer so, dass es Alternativen gibt, das eigene Ziel zu erreichen. Ein einfaches Beispiel: Wenn eine Organisation ökologische Nachhaltigkeitsziele definiert hat, ist aus Sicht der Zielsetzung erst einmal gleichwertig ob sie diesen mit „Klimakarl“ oder „Clime.de“ oder Querfeld Bio ein Stück näher kommt – drei großartige deutsche Social Startups, deren unterschiedliche innovativen Ideen ich kennenlernen durfte. Erst bei näherer Betrachtung, wenn man viel gefragt und gut zugehört hat, wenn also klar ist, worauf der jeweilige potenzielle Kunde Wert legt, gibt es für diesen gute Gründe, die eine Lösung der anderen gegenüber zu bevorzugen.
Podcast-Folge mit Andrea Mörike
In einer Podcastfolge von Erfolgreich — Wertorientiert — Kreativ ist Andrea zu Gast. Hier geht es zum Podcast!
Ein Kommentar
Danke für diesen großartigen Beitrag und das Interview! Mich würde noch interessieren, welche Kanäle ihr zur Akquise empfehlt? Klassisch den Hörer in die Hand nehmen oder gibt es aus eurer Sicht bessere Wege?